Dagmar Heindler - eine Hommage an eine überzeugte Europäerin und eine überzeugende Kommunikatorin mit Weitblick, Hartnäckigkeit und Charisma
Zum 75. Jubiläum des Europarates werden heuer 75 Frauen für ihr herausragendes Engagement geehrt. Im Juni hat Dagmar Heindler, die ehemalige Geschäftsführerin des ÖSZ, in Straßburg diese Auszeichnung für ihre beherzte und nachhaltige Mitwirkung in der Sprachenpolitik des Europarats und bei der Gründung des Europäischen Fremdsprachenzentrums mit Freude und Stolz entgegengenommen.
Kollegin Anna Gazdik hat Dagmar Heidler aus diesem Anlass interviewt und und der ÖSZ-Geschäftsführer, Gunther Abuja, blickt in einem persönlichen Kommentar auf das berufliche Lebenswerk seiner ehemaligen Chefin.
Dagmar Heindler – ein „ausgezeichnetes“ Lebenswerk
Ein Interview von Anna Gazdik (ÖSZ-Mitarbeiterin)
Heute herrscht in Österreich Konsens darüber, dass jede Schüler/jede Schülerin in der Schule mindestens eine lebende Fremdsprache (in den meisten Fällen Englisch), je nach Schultyp aber auch eine oder sogar zwei weitere Fremdsprachen, lernen soll. Es ist schwer vorstellbar, dass man in den 70er Jahren bei manchen Schulleitungen für die Einführung einer Fremdsprache plädieren musste: „Die Kinder sollen erst einmal ordentlich Deutsch lernen, eine weitere Sprache würde sie nur belasten, nicht alle sind geeignet Fremdsprachen zu lernen“, hieß es damals. Dass die Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen heute außer Frage steht, ist u.a. ein Verdienst von Dagmar Heindler, die ihr berufliches Lebenswerk dem erfolgreichen Sprachenunterricht gewidmet hat und stolz ist, dies als Frau erreicht zu haben!
Dagmar Heindler, geboren im letzten Jahr des zweiten Weltkriegs, ist bis heute überzeugte Pazifistin. Das Jahr, das sie während ihrer Schulzeit mit einem Stipendium des American Field Service in den USA verbrachte, war ein prägendes Erlebnis, das ihr ganzes Leben beeinflusste. „Es gab damals keinen Computer, kein Internet, ich konnte nur selten mit meinen Eltern telefonieren, ich hatte aber intensiven Kontakt mit jungen Leuten aus der ganzen Welt und eines wurde mir ganz klar: Wenn wir weiterhin im Frieden miteinander leben wollen, müssen wir uns verstehen können. Dafür sind Fremdsprachkenntnisse eine Schlüsselkompetenz“.
Nach ihrer Rückkehr nach Österreich studierte sie Anglistik an der Universität Graz, gab aber bald ihre Stelle als Lehrerin an der Schule auf, für eine Position, in der sie mehr bewegen konnte. „Ich hatte eine sehr kritische Einstellung zur damaligen Gesellschaft und gleichzeitig ein unglaubliches Interesse an der Schulentwicklung. Die Koalitionsparteien waren sich einig, dass das Schulsystem reformiert werden muss, und meine Kolleginnen und Kollegen haben mich überredet, mich beim neuen Zentrum für Schulentwicklung zu bewerben, dessen Abteilungen in Wien, Klagenfurt und Graz verankert waren. Die Probleme sind bis heute bekannt: Die Allgemeinbildenden Höheren Schulen und Hauptschulen hatten unterschiedliche Lehrpläne und gehörten oftmals zwei getrennten Welten an, was natürlich zu einer großen sozialen Selektion führte. Also haben wir versucht, die beiden Schulformen besser miteinander zu verschränken. Es waren sehr dynamische Zeiten: Schulen in ganz Österreich haben sich an unseren Schulversuchen beteiligt, auch wenn die Ergebnisse sich nachher weniger in den Schulformen, als in der Methodik-Didaktik gezeigt haben“, erzählt sie.
Diese Jahrzehnte brachten in ganz Europa große Veränderungen mit sich: Der Europarat hatte, seit den 60er Jahren, die Entwicklung und Erprobung neuer, kommunikativer Konzepte für den Fremdsprachenunterricht durch Expertinnen und Experten aus allen Mitgliedsstaaten initiiert, die sie später in ganz Europa verbreiteten. Für Dagmar Heindler, die von Anfang an in der Sprachabteilung des neuen Zentrums in Graz tätig war, war das der Beginn von allem, was danach kam. Zunächst wurde sie zu einem Treffen mit den Europarat-Expertinnen/-Experten ins Bildungsministerium nach Wien eingeladen. Als dann der Europarat eine große Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Mitgliedstaaten gründete, stand schnell fest, wer Österreich in Straßburg repräsentieren wird.
Aus dieser Zusammenarbeit von internationalen Expertinnen/Experten, Didaktikerinnen/Didaktikern und Bildungsmanagerinnen/-managern entstand der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR), der bis heute als Referenzdokument für die Fremdsprachenniveaus in ganz Europa anerkannt und verwendet wird.
Zeitgleich mit der Entwicklung dieser neuen Konzepte wollte man im Europarat auch deren Umsetzung in die Praxis begleiten und durch kontinuierliche Betreuung absichern. Dafür sollte ein eigenes Zentrum gegründet werden. Durch seine zentrale Lage im sich verändernden Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs definierte man Österreich als geeigneten Standort. Die Wahl fiel auf Graz, da die Stadt bereits eine renommierte Universität sowie die Fremdsprachenabteilung des Zentrums für Schulversuche beherbergte, und gleichzeitig als Tor nach Südosteuropa galt.
Dagmar Heindler war als Grazerin an den Verhandlungen des damaligen Bildungs- und Wissenschaftsressort mit dem Land Steiermark und der Stadt Graz beteiligt. „Der damalige Bürgermeister, Alfred Stingl, ein echter Europäer, war sofort dafür, er hatte auch gute Verbindungen zum Land, alle waren schnell überzeugt“, sagt sie.
Das neue Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarats - kurz EFSZ oder ECML - nahm seine Tätigkeiten mit acht Mitgliedstaaten in Graz auf. Die damaligen Räumlichkeiten waren aber schnell zu eng. Heute empfängt das EFSZ seine Expertinnen und Experten aus 36 Ländern in einem modernen Bürohaus in der Grazer Innenstadt. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Veranstaltungen sollen zu Hause übermitteln können, dass die EFSZ-Mitgliedschaft eine gute Investition ist, von der das ganze Land profitiert. Wir haben Expertinnen/Experten als Beraterinnen/Berater eingeladen, die die ursprünglichen Konzepte verfeinert haben, thematische Workshops mit verschiedenen Zielgruppen organisiert und eine vernetzte Arbeitsweise mit den Mitgliedstaaten entwickelt haben“, erklärt Dagmar Heindler, die zehn Jahre lang Vorsitzende des Governing Board war. Sie sieht die unterschiedlichen Herausforderungen, mit denen die Mitgliedstaaten von Albanien bis Norwegen und von Irland bis Litauen zu kämpfen haben, als Chance und nicht als Problem: „Man kann immer voneinander lernen. Es schadet einer stabilen Demokratie auch nicht, einmal die Probleme zu sehen, mit denen Länder in schwierigeren politischen oder wirtschaftlichen Situationen konfrontiert werden. Übrigens konnte man früher eine Schule im Burgenland auch nicht 1:1 mit einer in Vorarlberg vergleichen.“
Heute genießt Dagmar Heindler ihren wohlverdienten Ruhestand. Bis zu ihrer Pensionierung hat sie das Nachfolgeinstitut der Fremdsprachenabteilung des Zentrums für Schulentwicklung, das Österreichische Sprachenkompetenz-Zentrum (ÖSZ), geleitet. Jetzt genießt sie die Natur, bewundert schöne Landschaften und macht Wanderungen und Radtouren. Die Arbeit des EFSZ und des ÖSZ verfolgt sie nun aus der Distanz: „Die Aufgabe ist heute nicht einfach. Englisch zu lernen ist natürlich kein Thema mehr, aber man sollte die Mehrsprachigkeit noch stärker in den Fokus nehmen, die Situation genau analysieren und in Arbeitsgruppen pragmatische Lösungen in kleinen Schritten vorschlagen. Die Schule kann nur einen begrenzten Teil einer gesellschaftlichen Problematik abdecken. Das EFSZ hat es genau auf den Punkt gebracht mit seinem neuen Mid-Term-Programme: Language Education at the Heart of Democracy. Das ist die zentrale Frage des Zusammenlebens. Eine umfassende sprachliche Bildung ist eine der Grundlagen eines offenen demokratischen Systems.“
Weltoffen, weitsichtig und hartnäckig
Ein persönlicher Kommentar von Gunther Abuja (Geschäftsführer des ÖSZ)
Als ich als junger Lehrer am Zentrum für Schulentwicklung (ZSE) zu arbeiten begann, lernte ich Dagmar Heindler als Fachdidaktikerin und Mitautorin des Schulbuchs Ticket to Britain kennen. Mit dem Ticket war sie mit ihrem Team eine Vorreiterin, die den funktional-notionalen („kommunikativen“) Ansatz des Europarats für den Fremdsprachenunterricht umsetzte.
Dagmar Heindler wusste, wie man Ziele erreicht. So entwickelte sie die Fremdsprachenabteilung des ZSE zu einem eigenständigen Verein weiter (mit doppelt so vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern!), vernetzte die Institution mit Universitäten, Pädagogischen Akademien (später Hochschulen) und mit den jeweiligen Bildungs- und Wissenschaftsministerien. Das alles geschah vor dem Hintergrund maßgeblicher sprachenpolitischer Entwicklungen in Europa.
Europa war die Vorlage – Österreich ein entscheidender Beiträger, aber auch Lernender!
Geschuldet war die aufstrebende Entwicklung unserer Sprachenabteilung am ZSE und der Entwicklung der österreichischen Sprachenpolitik vor allem Dagmar Heindlers Ideen, die sie mit freundlicher Hartnäckigkeit vorantrieb. Sie verstand es, Unterstützerinnen und Unterstützer einer modernen, weltoffenen Sprachenpolitik für Österreich zu mobilisieren. Sie hatte die Gabe, Vertreterinnen und Vertreter mit anderen Standpunkten für ihre Visionen einzunehmen. Ich habe selbst erlebt, wie sie in hitzigen Debatten vermeintliche Kontrahentinnen und Kontrahenten vorerst beobachtete – nur, um sie bereits in der nächsten Kaffeepause einem ausgleichenden Gespräch zuzuführen –, das natürlich ebenso ihren eigenen strategischen Zielen diente!
Nachdem Dagmar Heindler das Europäische Fremdsprachenzentrum (ECML) gemeinsam mit den Niederlanden und Frankreich in Graz etabliert hatte, ging es richtig los! Das ECML verstand sie als Vorzeigeinstitution europäischer Geisteshaltung sowie des praktischen Anwendernutzens. Als Vorsitzende des Governing Board nahm sie dabei jahrelang eine unterstützende Rolle ein und versuchte, die Interessen aller Mitgliedsstaaten zu wahren.
Wie konnte all das und vieles, was hier aus Platzgründen unerwähnt bleiben muss, gelingen?
Dagmar Heindler als „überzeugte Beamtin" und ebenso überzeugte Europäerin gelang es, ganz verschiedene Bedarfe und Interessen über nationale Grenzen hinweg zu verbinden. Sie verlor als Mensch nie die Bodenhaftung, war gebildet und erfahren, kannte die schulische Praxis, war Lehrende und vertraute auf Fortschritt und Entwicklung. Ihre herausragende Fähigkeit, Menschen miteinander zu vernetzen, war aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein in ihrem Lebenswerk.
Die europäische und die österreichische Sprachenpolitik - und nicht zuletzt auch das ÖSZ - sind ihr dafür zu Dank verpflichtet!