"Jede Sprache ist wertvoll!” Zu Gast am Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrum.
Unsere Kollegin Anna Gazdik arbeitet nebenbei als freiberufliche Journalistin bei der überregionalen Online-Zeitung "Rólunk". Rólunk Ausztria Magyar Oldalai ist ein beliebtes Medium der gesamten ungarischen Volksgruppe in Österreich. Anna hat gewissermaßen als originelles Einstandsgeschenk einen liebevollen und ausführlichen Artikel über uns und unsere Arbeit verfasst, den wir an dieser Stelle gerne mit Ihnen teilen möchten.
Den Originalbeitrag auf Ungarisch finden Sie auf der Rólunk-Website. Hier der leicht gekürzte Artikel von Anna Gazdik in der deutschen Fassung:
Was kann eine Lehrperson tun, wenn ein Teil der Schülerinnen und Schüler nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, um dem Unterricht zu folgen? Wie kann man heutzutage Fremdsprachen am effektivsten unterrichten? Wie kann sichergestellt werden, dass Kinder die Sprache(n) ihrer Eltern nicht vergessen? Dies sind komplexe Fragen, auf die das Österreichische Sprachen-Kompetenz-Zentrum Antworten geben möchte. Wir waren zu Gast beim ÖSZ-Team, und wir können mit Überzeugung sagen, dass sich die Begeisterung der ÖSZ-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter für sprachliche Vielfalt im Handumdrehen auf jeden Gast überträgt.
Sprachliche Vielfalt stellt das Schulsystem vor neue Herausforderungen. Österreich befindet sich in der glücklichen Lage, dass der Verein "Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum" speziell darauf ausgerichtet ist, Lehrende bei ihrer Arbeit im Bereich der sprachlichen Bildung zu unterstützen. Mit seinen praxisbezogenen Materialien und zielgruppenspezifischen Veranstaltungen versucht das ÖSZ, moderne methodisch-didaktische Ansätze auf anschauliche Weise darzustellen. Das ÖSZ versteht sich als Servicestelle und Drehscheibe für alle Fragen rund ums Sprachenlehren und -lernen.
Mit den wunderschön illustrierten PUMA-Plakaten (Produktiver Umgang mit Mehrsprachigkeit im Alltag von Kindern), die sich an 4-6-Jährige richten, können Kinder spielerisch den deutschen Wortschatz erlernen, den sie zu Schulbeginn benötigen. Gleichzeitig bieten die Plakate viele Anregungen, wie Pädagoginnen/Pädagogen und Eltern die Erstsprachen der Kinder sicht- und hörbar machen können. Die Ergebnisse sprechen für sich: Das ÖSZ hat bisher mehr als 150.000 Plakate an elementare Bildungseinrichtungen in Österreich, Deutschland, ja, sogar bis nach Mexiko verschickt. Die Erfinderin und Erstellerin der Plakate Karin Weitzer erzählt bewegt von einem ungarischen Jungen, der einen österreichischen Kindergarten besucht, und sich durch das Plakat ermutigt fühlte, vor den anderen sein Lieblingslied auf Ungarisch zu singen.
“Die Vermittlung der deutschen Unterrichtssprache kann heute nicht nur die Aufgabe der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer sein”, sagt Carla Carnevale, Projektleiterin am ÖSZ. Sie verfolgt seit mehr als 10 Jahren das Ziel, die Methode des so genannten “sprachsensiblen/sprachbewussten Unterrichts” bekannt zu machen und zu fördern. Die Grundidee lautet wie folgt: Es reicht nicht aus, nur die deutsche Alltagssprache zu verstehen, da jeder Unterrichtsgegenstand seine eigenen Fachbegriffe hat, die bekannt sein müssen, um die Lernziele zu erreichen. So kann es leicht passieren, dass Schülerinnen und Schüler mit einer anderen Erstsprache aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten dem Chemie- oder Biologieunterricht nicht folgen können, da in der Deutschstunde Begriffe wie “Sauerstoff”, “Quelle” oder “zweikeimblättrig” nicht vorkommen. In einem sprachsensiblen Unterricht beherrscht die Fachlehrerin/der Fachlehrer bestimmte Methoden des Scaffolding. So nimmt sich die Lehrperson beispielsweise Zeit, um neue Begriffe einzuführen und sorgfältig zu erklären. Sie wiederholt bei Bedarf wichtige grammatikalische Strukturen, zum Beispiel die Steigerung von Adjektiven (“größer-kleiner”) in der Mathematikstunde oder die Vergangenheitsform unregelmäßiger Verben im Geschichtsunterricht. Darüber hinaus ist die Verwendung anderer Erstsprachen nicht ausgeschlossen: Unter geeigneten Rahmenbedingungen, zum Beispiel wenn die Schülerinnen und Schüler selbstständig oder in Gruppenarbeit etwas recherchieren müssen, können sie dies auch in ihrer Erstsprache tun, bevor sie es den anderen auf Deutsch präsentieren.
Carla, mit italienischen Wurzeln väterlicherseits, kennt die demütigende Situation aus ihrer Kindheit, als Lehrpersonen ihren Nachnamen vor der gesamten Klasse falsch aussprachen. Damals war sie die Einzige in ihrer Klasse mit einem ausländisch klingenden Namen. Sie hofft, dass sich in Zukunft niemand mehr wegen seines/ihres Akzents genieren muss.
Sprachkenntnisse sind eng mit der Fähigkeit zum Textverständnis verbunden. So hat das Bildungsministerium im Schuljahr 2023-24 die Entwicklung der Lesekompetenz zu einer Priorität im österreichischen Schulsystem gemacht. Albert Göschl, stellvertretender Leiter des ÖSZ, beschäftigt sich in mehreren Projekten intensiv mit der Förderung des Lesens.
Ein weiterer Schwerpunkt des ÖSZ liegt im Bereich des Fremdsprachenunterrichts – darunter Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und Spanisch. Serena Comoglio kam aus der Welt der Übersetzungswissenschaften zum ÖSZ und ist davon überzeugt, dass die Schlüsselkompetenzen für Übersetzung und Dolmetschen auch einen wichtigen Teil des Fremdsprachenlernens ausmachen und in einer mehrsprachigen Gemeinschaft die Kommunikation erheblich erleichtern können. Dazu gehören beispielsweise das Paraphrasieren in der Zielsprache anstelle von wörtlichen Übersetzungen oder die Vermittlung zwischen Kulturen, die sogenannte Mediation. Denn bei der Verwendung einer Fremdsprache vermitteln wir genauso zwischen zwei Parteien, wenn wir den Inhalt eines Textes für jemanden zusammenfassen, jemandem die Aufgabe erklären oder sogar wenn wir mit Freunden über das Wochenende sprechen und dann im Kinoprogramm nach dem passenden Film suchen. In ihrem nächsten Projekt plant sie daher Erklärvideos zur Mediationsfähigkeit für Sprachlehrende zu erstellen.
Das ÖSZ versucht nicht nur durch die Mitarbeit an der Lehrplanentwicklung, sondern auch auf andere Weise Bildungseinrichtungen dazu zu motivieren, Fremdsprachen auf höchstem Niveau zu unterrichten und dabei die sprachliche Vielfalt ihrer Schülerinnen und Schüler zu bewahren. Die Europäische Kommission hat im Jahr 1998 das “Europäisches Sprachensiegel” ins Leben gerufen, für das sich unter anderem elementare Bildungseinrichtungen, Schulen, Pädagogische Hochschulen, Universitäten, Weiterbildungseinrichtungen und Vereine mit ihren Sprachen-Projekten bewerben können. In Österreich vergibt das ÖSZ alle zwei Jahre das Sprachensiegel an Leuchtturmprojekte, die durch ihre Nachhaltigheit und Innovation bestechen. Die Projektleiterin, Rijana Trešnjić, ist sehr stolz auf die ausgezeichneten Institutionen: “Ich freue mich, dass wir auf diese Weise die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern honorieren können, die sich für qualitativ hochwertigen Sprachunterricht engagieren, und positive österreichische Beispiele auch auf europäischer Ebene präsentieren können”, fasst sie zusammen.
Rijana, die im Alter von einem Jahr aus Bosnien nach Österreich kam, war – wie Carla – die einzige in ihrer Volksschulklasse, deren Erstsprache nicht Deutsch war. Daher lernte sie schnell Deutsch. Beim Sprechen der Erstsprache mit ihren bosnischen Freunden bemerkte sie im Laufe der Zeit, dass sie der deutschen Sprache in vielen Bereichen mächtiger war als ihrer Erstsprache. Aus ihrer Begeisterung für Sprachen heraus absolvierte sie schließlich an der Universität Graz das Studium "Bosnisch-Kroatisch-Serbisch", im Zuge dessen sie auch die (fach-)sprachlichen Lücken in ihrer Erstsprache füllen konnte. Aufgrund ihrer Erfahrungen ist es ihr wichtig, dass so viele Menschen wie möglich in Österreich den ihnen zustehenden Erstsprachenunterricht in Anspruch nehmen.
Karin Weitzer beschäftigt sich neben den bereits erwähnten PUMA-Plakaten auch mit den Erstsprachen: Dazu gehört der Unterricht der in Österreich anerkannten Minderheitensprachen, nämlich des in Kärnten gesprochenen Slowenischen sowie des in Burgenland verwendeten Burgenland-Kroatischen, Romanes und Ungarischen. Im Auftrag und in enger Zusammenwirkung mit dem Bildungsministerium begleitet Karin mit großer Freude pädagogische Projekte aus dem Minderheitenschulwesen: Dabei werden z.B. kompetenzorientierte analoge und digitale Unterrichtsmaterialien und Schulbücher entwickelt, es wird die Matura für Kroatisch, Ungarisch und Slowenisch als zweite lebende Fremdsprache erstellt, die neuen Lehrpläne wurden geschrieben und es laufen Projekte zur Digitalisierung und zur Leseförderung. Einmal im Jahr organisiert das ÖSZ das sogenannte FORUM Minderheitenschulwesen, eine Veranstaltung bei der viele Stakeholder zusammenkommen und Ideen für die Zukunft entwickeln. “Es war zuerst seltsam, dass ich keine der Minderheitensprachen spreche, aber die Projektpartnerinnen und -partner aus dem Burgenland und aus Kärnten haben mich so herzlich aufgenommen, dass ich meine anfängliche Scheu rasch ablegen konnte. Ich genieße die Zusammenarbeit sehr und ich bin beeindruckt vom Engagement der Lehrenden & Lernenden, der Kultur- und Sportvereine, der Bildungsdirektionen und Hochschulen und aller, die sich für den Erhalt und Gebrauch der Volksgruppensprachen einsetzen!” – sagt sie.
Das ÖSZ ist seit den 1970er Jahren mit dem Fremdsprachenunterricht befasst und wurde 1990 zu einer Abteilung für Fremdsprachenunterricht im damaligen Zentrum für Schulversuche. Seit 2005 ist das ÖSZ ein eigenständiger Verein. Die Leiterin der einstigen Abteilung und dann des ÖSZ war Dagmar Heindler, die gleichzeitig die Vertreterin Österreichs im Europarat war und die Grazer Sprachenlandschaft entscheidend geprägt hat. In den 1990er Jahren standen die Mehrsprachigkeit und das Fremdsprachenlernen im Mittelpunkt der Politik des Europarates, und es wurde schnell klar, dass es eines internationalen Instituts bedurfte, das diese Prinzipien in die Praxis überträgt und konkrete Umsetzungsmethoden entwickelt. So entstand 1995 in Graz das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarates (European Centre for Modern Languages), das seitdem eng mit dem ÖSZ zusammenarbeitet. In die Historie des ÖSZ und EFSZ führt uns Gunther Abuja ein, der seit 1989 beim ÖSZ arbeitet und den Verein seit 2007 leitet. Er ist besonders stolz auf die Entwicklung der österreichischen Versionen des Europäischen Sprachenportfolios, sowie auf die nationalen und internationalen Verbindungen des Zentrums. Seiner Meinung nach hat sich das ÖSZ erfolgreich an die sich verändernden Erwartungen im Bereich des Sprachenlernens angepasst, nachdem die Unterstützung der Mehrsprachigkeit im Laufe der Zeit auf den Unterricht des Deutschen als Zweitsprache verlagert wurde. Gleichzeitig hat das ÖSZ jedoch nicht auf seine Grundwerte verzichtet, nämlich die Vertretung der Idee, dass jede Sprache an sich einen Wert darstellt und Mehrsprachigkeit – bei angemessener Nutzung – ein enormes gesellschaftliches Potenzial und nicht ein Problem ist.
Dies zeigt auch das ÖSZ selbst auf hervorragende Weise: „Der Kaffee ist fertig“ – ruft Tina Panhuber, die Allrounderin des Zentrums, jeden Vormittag in das Telefon und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versammeln sich zu einer gemeinsamen Kaffeepause. Die Gespräche über fachliche und persönliche Themen finden auf Deutsch statt, aber man kann schnell den italienischen Akzent von Serena, den albanischen Akzent des Informatikers Drini Salihi oder den ungarischen Akzent der Autorin erkennen.